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Zur Übersicht16. Mai 2023

Frauen*domäne: Wirtschaftsinformatik

Einige Berufe werden auch heute noch seltener von Frauen ausgeübt. Wir haben mit inspirierenden Frauen gesprochen, die in sogenannten „Männerdomänen“ arbeiten. Sie stellen ihren Traumberuf vor und ermutigen andere Frauen, ihren Träumen zu folgen  – so auch Jayme Meier und Katja Kurz.

Katja Kunz, wissenschaftliche Mitarbeiterin, Dozentin und Projektleiterin ZHAW
Jayme Meier, Business-Analystin Neue Zürcher Zeitung AG

Liebe Katja, liebe Jayme, schön, dass ihr heute da seid. Erzählt doch zu Beginn gleich selber, was ihr beruflich macht und wie eure Verbindung zueinander ist?

Jayme: Ich arbeite als IT Business Analystin bei der Neuen Zürcher Zeitung und habe letzten Sommer mein Wirtschaftsinformatikstudium an der ZHAW abgeschlossen. Im Rahmen dieses Studiums habe ich im späteren Verlauf meines Studiums das Wahlpflichtmodul „Self-Leadership“ besucht, durch das ich Katja kennengelernt habe.

Katja: Ich bin als Dozentin, Coach und wissenschaftliche Projektleiterin an der ZHAW, am Institut für Wirtschaftsinformatik tätig. Davor war ich knapp 20 Jahre lang als IT-Managerin in der Finanzbranche unterwegs, habe Projekte geleitet, in Grossbanken und in einem FinTech-Startup. Irgendwann habe ich entschieden, dass ich mein Wissen weitergeben möchte und den Weg in die Hochschule eingeschlagen.

Katja, du warst also Jayme’s Dozentin im Wirtschaftsinformatik-Studium an der ZHAW?

Katja: Genau. Ich doziere seit längerem verschiedene Module im Wirtschaftsinformatik-Studiengang, habe dann zusätzlich dieses Wahlpflichtmodul weiterentwickelt, weil ich der Meinung bin, dass „Self-Leadership“ gerade in der Wirtschaftsinformatik essentiell ist. Und da muss ich etwas vorgreifen: Ich habe eher in späteren Semestern unterrichtet, weshalb viele Studierende berichteten, dass sie dann zum ersten Mal eine Frau aus der Wirtschaftsinformatik vor sich hatten. Mittlerweile hab ich auch eine Modulverantwortung direkt bei den 1. Semestern übernommen, so kommt das glücklicherweise nicht mehr vor.

Auf den Frauenanteil kommen wir nachher gern ausführlich zu sprechen. Vorher interessiert mich aber, wie ihr beiden denn jeweils zu dem Studium gekommen seid?

Jayme: Ich habe eine KV-Lehre mit Berufsmatura absolviert. Als eine Art Pilot gab es das „KV IT+“, in dem wir im ersten Semester einen zusätzlichen Tag nur Informatik-Unterricht hatten. Damals interessierte mich der Bereich bereits. Nach der Lehre entschied ich mich aber erstmal für einen Sprachaufenthalt und fing anschliessend eine Stelle im Einkauf an, bei welcher ich unter anderem für den Informatik-Einkauf zuständig war. In dieser Rolle hatte ich mit vielen Kollegen aus der Informatik-Abteilung zu tun und habe so diesen Bereich nochmals besser kennengelernt. Als ich dann auf der Suche nach einer Weiterbildung war, haben mir einige Kollegen das Wirtschaftsinformatik-Studium empfohlen. Ich sah das Studium als Chance, meinen Interessen zu folgen und in die Branche einzusteigen.

Katja: Bei mir verlief das fast identisch – einfach früher. Ich habe Abitur gemacht, im Anschluss als Au-Pair gearbeitet. Dann kam ich zurück und es hiess: „Erst einmal eine ordentliche KV-Ausbildung machen“.  Ich habe diese Lehre bei einem KMU absolviert und konnte in verschiedenen Abteilungen arbeiten. Die damalige „EDV-Abteilung“ gefiel mir am besten. Mein Vorgesetzter hatte mich damals sehr gefördert und mich ermutigt. Rückblickend würde ich sagen, dass diese Unterstützung meinen Weg stark geprägt hat, ich bin ihm sehr dankbar. So habe ich dann das Studium und den Fachbereich der Wirtschaftsinformatik gewählt.

Was gefällt euch an der Wirtschaftsinformatik?

Katja: Ich fand schon damals den Impact dieser „IT-Projekte“ interessant –  viel Veränderung, viel Neues. Auch das Zusammenspiel von Technik, Wirtschaft und Mensch hat mir immer gefallen, die menschliche Komponente in der Technik abzubilden. Wirtschafsinformatik hat häufig eine Art Vermittlungsfunktion zwischen Business und IT. Sie bringt unterschiedliche Perspektiven und Sprachen zusammen. Das setzt in vielerlei Hinsicht technisches Fachwissen, aber auch Social Skills voraus. Das fasziniert mich bis heute.

Jayme: Genau, diese Vermittlerrolle, die Fähigkeit, beide Seiten zu verstehen und für beide eine geeignete Lösung zu finden, ist spannend. Mir gefällt aber auch das „Tüfteln“: Lösungen zu finden, indem man immer wieder neue und verschiedene Wege ausprobiert.

Wenn ich euch zuhöre, klingt das für mich eher nach klassisch weiblich konnotierten Fähigkeiten. Stimmt ihr mir zu?

Katja: Wirtschaftsinformatik ist schon sehr viel Technik, was typischerweise wohl als männlich dominiert gilt. Mir ist das aber ehrlich gesagt gar nie so recht aufgefallen – ausser, dass ich manchmal wirklich die einzige Frau im Raum war. Wirtschaftsinformatik ist eher per se eine Disziplin mit der Aufgabe, Wirtschaft und Informatik für das Wohl des Menschen zusammenzubringen.

Dass ihr Frauen seid, war bei der Studienwahl also kein Thema?

Katja: Ich hatte immer sehr viele Menschen, die mich unterstützt haben, gerade Männer, die mich im Beruf kennengelernt und meine Stärken gesehen haben.  In meinem privaten Umfeld hingegen gab und gibt es immer noch viel Verwunderung. Wenn ich zum Beispiel neuen Nachbarn von meinem Beruf erzähle, kommen überraschte Reaktion „Was, du bist doch so sozial und menschlich, wie passt das denn mit IT zusammen?“. Das bringt mich heute zum Schmunzeln.

Jayme, wie hat dein Umfeld auf diesen Berufswunsch reagiert, gab es Widerstände?

Jayme: Widerstände aufgrund meines Geschlechts gab es keine. Was hingegen ein Thema war, war die Tatsache, dass ich mich erst im Alter von 23 Jahren für den Studiengang Wirtschaftsinformatik entschied. Ich hatte bereits einen gefestigten Job und hätte schneller zu mehr Geld kommen können, wenn ich eine Weiterbildung im Bereich „Einkauf“ gemacht hätte. Letztlich haben mich meine Eltern aber sehr unterstützt, als sie merkten, dass ich mir meiner Wahl sicher war.

Im Studium habt ihr dann doch bemerkt, dass ihr die einzige oder eine von wenigen Frauen wart. Wie hat sich die Situation an den Hochschulen in den letzten Jahren verändert?

Katja: In meinem Studium gab es auch eine einzige Dozentin der Wirtschaftsinformatik, neben all den Professoren und Dozenten und im Nachhinein glaube ich schon, dass ich mich von ihr habe prägen lassen. Ich bin mit einem Bruder aufgewachsen, mir war es nicht fremd, unter Jungs zu sein. Auch im Beruf war ich häufig auf Auslandeinsätzen die einzige Frau im Team. Heute an der Hochschule gibt es am Institut für Wirtschaftsinformatik langsam etwas mehr Frauen, das freut mich. An der ZHAW SML haben wir einen durchschnittlichen weiblichen Anteil von ca.12% im Studiengang. Auch generell sind die Zahlen immer noch sehr niedrig, insbesondere in Mitteleuropa. In den DACH-Ländern liegt die Quote im Durchschnitt bei ca. 15%.

Jayme: Ich hätte den Anteil an der ZHAW höher geschätzt, zumindest im Teilzeitstudium. Wahrscheinlich habe ich das anders wahrgenommen, weil ich während meines Studiums viel Zeit mit einer Kommilitonin verbrachte und so immer eine weibliche Austauschpartnerin hatte. Aber auch mit den männlichen Kommilitonen hatte ich es gut. Beim Lernen oder bei Gruppenarbeiten habe ich mich auf jeden Fall nie benachteiligt gefühlt oder in der Minderheit.

Ihr beide sprecht von viel Wohlwollen und Unterstützung im Studium oder im beruflichen Umfeld. Woran liegt es denn aus eurer Sicht, dass der Anteil u.a. in der Deutschschweiz trotzdem so niedrig ist?

Katja: Das ist tastsächlich die wichtigere Frage. Jayme und ich sind ja da. Wir fühlen uns wohl in dieser Rolle. Viele andere sind hingegen nicht da, haben sich nie für die Option entschieden, obwohl sie sich wahrscheinlich für das Fach interessieren würden.

Jayme: Als ich mich für eine Lehre entscheiden musste, hätte ich mich theoretisch auch bereits für Informatik entscheiden können. Damals wurde aber ständig betont, dass man dafür stark sein müsse in Mathematik und angrenzenden Fächern. Das war bei mir überhaupt nicht der Fall. Ich war gefühlt sogar die Jahrgangsschlechteste. Das hat mich abgeschreckt, weshalb ich mich dann für die KV-Lehre entschied. Natürlich fiel mir im Studium Mathematik auch nicht leicht, mit engagierten Dozierenden und meinem Willen und Effort war es aber durchaus machbar. Und speziell betonen möchte ich, dass Wirtschaftsinformatik weit mehr ist als nur Mathematik.

Katja: Es herrscht tatsächlich grosse Intransparenz, was den Berufsinhalt betrifft. Jayme hat es vorher schön dargelegt. Wir haben uns beide erst mit ca. 20 Jahren für diesen Weg entschieden, als wir bereits besser wussten, was uns liegt und was uns Spass macht. Ich hätte mich niemals mit 16 Jahren dafür entschieden, weil das Elternhaus und Bekannte mich eher in einem sozialen Beruf gesehen hätten. Da gibt es immer noch viele Vorurteile – eben auch was das Einsatzgebiet angeht. Es fehlen vielleicht genau solche Interviews, in denen junge Frauen lesen, welche spannenden IT-Projekte und Einsatzgebiete es gibt.

Welche Rolle spielen Universitäten, wenn es darum geht, junge Frauen für MINT-Fächer zu begeistern?

Katja: Die Zahlen sprechen für sich. Der Anteil Studentinnen in MINT-Fächer ist gering, die Dozierenden sind zumeist Männer, nach aussen ist das Bild deshalb stark männlich und bei der Berufswahl herrschen Vorurteile. Ich habe mich deshalb bereit erklärt, dass Bilder und Interviews von mir gemacht werden, weil ich eine der wenigen Frauen bin, die vorne steht. Ich weiss inzwischen, dass Rolemodels wichtig sind und setzte meine persönlichen Erlebnisse jetzt bewusst in Kombination mit den wissenschaftlichen Fakten ein.

Jayme, was hat es für dich bedeutet, Katja als Dozentin vor dir stehen zu haben?

Jayme: In den Wirtschaftsfächern gab es Dozentinnen, aber in der Informatik kann ich mich an keine Frau erinnern. Natürlich war es dann im späteren Verlauf des Studiums bei den Wahlpflichtmodulen mit Katja und der ein oder andern Dozentin schön zu sehen, dass es andere Frauen auch «geschafft» haben. Das hat mich im meinem Selbstvertrauen bestärkt.

Und wie ergeht es euch im Beruf?

Jayme: Ich arbeite in der Informatikabteilung der NZZ, auch hier ist der Frauenanteil eher gering.  Aber auch im Beruf empfinde ich keine Diskriminierung oder Benachteiligung. Im Gegenteil, viele sind froh um etwas mehr Diversität. Wo ich manchmal merke, dass ich die einzige Frau bin, ist in der Mittagspause, wenn z.B. gewisse Sport-Themen besprochen werden, für die ich mich nicht interessiere und dann nicht mitdiskutieren kann oder will.

Katja: In meinem früheren Beruf habe mich auch meist wohl gefühlt – alleine als Frau. Ich muss dazu vielleicht auch sagen, dass ich ab und zu gern alleine bin. Das hat rückblickend sicher dazu beigetragen, dass mich die Situation nicht gestört hat. Auch wenn ich die Pausengespräche ebenfalls kenne, in denen ich nicht mitreden konnte. Jetzt arbeite ich Teilzeit und bin Mutter. Bis zu dem Moment als mein Babybauch sichtbar wurde, habe ich vielleicht gar nicht gemerkt, dass ich eine Frau im Team bin. Ich hab mich einfach als Teammitglied gesehen.

Dazu gäbe es viel zu besprechen. Wir müssen leider langsam zum Abschluss kommen. Gibt es noch etwas, das ihr jungen Frauen auf den Weg geben möchtet, die sich für Wirtschaftsinformatik interessieren oder vielleicht jenen, die gerade noch nicht wissen, dass sie sich dafür interessieren könnten?

Jayme: Wohl wirklich das Aufräumen mit dem Irrglaube, dass Informatik gleich Mathe und angrenzende Fächer ist. Und dass Diversität sich immer positiv auf das Team auswirkt.

Katja: Da stimme ich 100% zu. Ich würde auch stark darauf achten, wie der richtige Inhalt transportiert wird: Es braucht sichtbare Frauen, die erzählen, dass es nicht nur Mathe ist! So könnten auch irgendwann die Vorurteile weniger werden.

Zuletzt nimmt mich nun noch Wunder, wie euer Kontakt zueinander heute, also nach dem Studium ist?

Jayme: Eigentlich eher lose, würde ich sagen. Ich bin letztens mehr zufällig wieder auf Katja zugegangen, weil ich einen Artikel zu einem Thema gelesen hatte, welcher mich an ihr Modul erinnerte. Sie hatte uns während des Studiums immer nahegelegt, dass wir uns auch nach dem Studium jederzeit melden können.

Katja: Das war wirklich ein Zufall. Kurz nachdem ihr mich für ein Interview angefragt hattet, hatte sich Jayme bei mir gemeldet. Und ich biete das tatsächlich so an. Ich finde toll, wenn wir im Austausch bleiben. Ich möchte nicht als alleiniges Rolemodel gelten. Die Kraft liegt darin, dass ich so andere Frauen befähigen kann.


Katja Kurz (47) ist studierte Wirtschaftsinformatikerin und war über 20 Jahre lang als Managerin bei diversen Unternehmen in der Finanzindustrie tätig. Aktuell ist sie an der ZHAW als wissenschaftliche Mitarbeiterin, Dozentin und Projektleiterin tätig und unterstützt als Coach Personen in Veränderungssituationen. Sie ist verheiratet, lebt am Pfäffikersee (ZH) und ist Mutter zweier Mädchen.

Jayme Meier (28) hat letztes Jahr ihr Bachelor-Studium in Wirtschaftsinformatik an der ZHAW abgeschlossen und arbeitet jetzt als IT Business Analystin in der Neuen Zürcher Zeitung AG. In Ihrer Freizeit bereist sie gerne andere Länder und treibt Sport. Vor kurzem hat sie das persönliche Projekt «Joggen» gestartet, damit sie diesen Sommer lebend eine Berghütte auf 3000 m. ü. M. besteigen und im Herbst ihren ersten Lauf absolvieren kann.