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Zur Übersicht12. Januar 2022
Rudel-Kolumne Banner Mentorinnen-Rat

Entscheiden ohne zu leiden

Lehre oder Gymi? Zwischenjahr oder direkt weiter? Reisen oder jobben? Ausziehen oder Hotel Mama? WG oder Studentenheim? Jugendliche und junge Erwachsene müssen so viele Entscheidungen fällen wie in keinem anderen Lebensalter. Dabei fehlt ihnen oft noch die Erfahrung im Umgang mit Entscheidungen. Eine kleine Anleitung von Martina Wider, Mentorin beim Rudel der Löwinnen, wie es dennoch klappen kann.

Wer schon einige Jahrzehnte Entscheidungen getroffen hat, hat meistens zwei grundlegende Erfahrungen damit gemacht. Erstens: Es gibt kein richtig oder falsch. Und zweitens: Die allermeisten Entscheidungen sind nicht endgültig. Wer das ein paar Mal selbst erlebt hat, findet Entscheidungen zunehmend einfacher.

Richtig oder falsch gibt es nicht

Richtig oder falsch? Bei grossen Entscheidungen wie zum Beispiel Lehre oder Gymi ist es unmöglich, zum Entscheidungszeitpunkt zu wissen, wie die gewählte Lehre oder der spezifische Ausbildungsgang in einem Gymi wirklich aussehen und einem gefallen wird. Natürlich soll ich mir so viele Informationen dazu wie möglich suchen, aber dennoch muss ich mir auch vor Augen halten, dass es Faktoren gibt wie Lehrmeisterin, Lehrer, Klassenkameradinnen und die eigene Entwicklung, die ich zum Zeitpunkt des Entscheids noch gar nicht kennen kann, da kann ich nachfragen und recherchieren, so lange ich will. Also reicht es absolut, nach Einholen der Informationen auf mein eigenes Bauchgefühl zu hören und denjenigen Weg zu wählen, der mich mehr anzieht. Richtig oder falsch gibt es nicht, nur attraktiv genug, damit ich für den Moment «ja» zu einer Entscheidung sagen kann. Beim Spüren des Bauchgefühls helfen mir persönlich: Gespräche mit andern, Spaziergänge, Meditation – und backen. Ein herrlich achtsamkeitsfördernder Zeitvertreib!

Es ist okay, sich umzuentscheiden

Entscheidungen sind zudem nicht endgültig. Es kann sein, dass ich nach ein paar Monaten Gymi oder Lehre merke, dass mir diese Ausbildung nicht zusagt. Das weiss ich, weil ich nun die konkrete Situation kenne und spüre, dass es aus dem einen oder anderen Grund doch nicht passt. Das ist okay. Sowas passiert allen Menschen immer mal wieder mit Entscheidungen. Bloss, weil ich zu einem gewissen Zeitpunkt «ja» zu etwas gesagt habe, heisst das nicht, dass ich für alle Zeit dabei bleiben muss. Ist doch toll, dass wir im Laufe des Lebens immer schlauer werden! Es zeugt von Stärke, wenn ich das zugeben und mir den Raum für eine Umentscheidung nehmen kann. Ich habe oft gestaunt, wie einfach es schliesslich war, eine Entscheidung anzupassen, und welche alternativen Lösungen sich auftaten, sobald ich ihnen Raum gegeben hatte. Es geht nämlich immer auch anders, als man ursprünglich denkt.

Irgendwann kommen wir an einem Ort an, an dem es uns wohl ist

Früher ging ich davon aus, dass die meisten Menschen ihr Leben nach einem bestimmten Plan angehen und leben. Ich meinte, alle anderen wüssten stets, was als nächstes kommen sollte, und würden es zielstrebig angehen. Was für ein Irrtum! Nur ganz wenige Menschen wissen in einem frühen Alter, was sie genau mit ihrem Leben machen wollen und gehen dann Schritt für Schritt dieser Bestimmung nach. Die grosse Mehrheit von uns hat zwar eine allgemeine Idee, wo es hingehen könnte, aber auf unserem Weg dahin lassen wir uns treiben und lenken von Zufällen und Begegnungen und sind meistens ganz zufrieden damit. Irgendwann sind wir dann an einem Ort angekommen, an dem es uns wohl ist, ohne dass wir allzu viele bewusste Entscheide für diesen Zielpunkt gefällt hätten.

Gut zu wissen: Im Nachhinein tun wir jedoch meistens so, als hätten wir es immer gewusst. Wir legen unseren Lebenslauf vor und erzählen die einzelnen Stationen, als wären sie von Anfang an so geplant gewesen, obwohl sie sich erst unterwegs ergeben haben. Wir sind nämlich eigentlich schlechte Planer aber dafür super Geschichtenerzählerinnen!


Martina Wider ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachbereich Kinder- und Jugendhilfe beim Amt für Jugend- und Berufsberatung. Im Rahmen unseres Rudel der Löwinnen-Mentoringprogramms unterstützt sie über ein Jahr eine junge Frau dabei, selbstbewusster in die Berufswelt einzusteigen. Davor war sie Gymnasiumlehrerin und hat beim Mittel- und Berufsschulamt diverse Projekte geleitet.