Frauen aus verschiedenen Branchen und mit unterschiedlichen Hintergründen beantworten „5 Fragen“ und erzählen, wie sie dorthin gekommen sind, wo sie heute stehen und geben jungen Frauen ihre Tipps weiter. In der dritten Ausgabe haben wir mit Dr. Marion Völger, Generalsekretärin der Bildungsdirektion Kanton Zürich, gesprochen.
Du bist ein Vorbild für junge Frauen. Wie bist du dahin gekommen, wo du heute stehst?
Ich tue mich etwas schwer mit dem Begriff „Vorbild“, weil es das Wort „Bild“ enthält. Bei einem Vorbild handelt es sich also um ein flüchtiges Bild, das andere von mir haben, sich von mir machen. Ich erzähle hingegen lieber, wie ich die geworden bin, die ich heute bin.
Was mich stets angetrieben hat und auch heute noch antreibt ist, dass ich mich immer weiterentwickeln will. Ich sage nicht, jetzt bin zuoberst und habe alles erreicht. Mir ist wichtig, dass ich regelmässig in mich gehe, eine Standortbestimmung mache und mir überlege, bin ich am „richtigen Ort“. Dazu kommt, dass ich wirklich sehr viel Glück hatte im Leben. Zur richtigen Zeit waren die richtigen Menschen für mich da. Menschen, die an mich glaubten.
Einer der zentralsten Faktoren ist schliesslich, dass ich mir immer meine Unabhängigkeit bewahrt habe. Ich wusste früh im Leben, dass ich keine eigenen Kinder möchte. Es war kein klassischer Karriereentscheid. Es gab einfach immer so vieles anderes, das mich bewegte. Ich hatte nie den Anspruch, dass alles gleichzeitig möglich ist. Dieser Entscheid hat für mich vieles vereinfacht. Auch wenn es nicht immer so einfach war, diesen zu kommunizieren.
Mit welchen Herausforderungen warst du auf deinem Weg konfrontiert?
Auf dem Land aufwachsen, in einem Haushalt ohne Bücher war mein Weg nicht von Beginn an vorgezeichnet. Lange hatte ich das Gefühl, ich wäre als Frau gar nicht benachteiligt: Ich bin 1971 quasi ins Frauenstimmrecht hineingeboren, als ich in die Berufswelt eingestiegen bin, wurde sogar die Frauenquote zum Thema. Doch dann hatte ich ein AHA-Erlebnis, als ich beim Kopierer zufällig eine Lohnliste entdeckt hatte … Vordergründig mag es schon so wirken, als seien wir als Frauen nicht benachteiligt. Aber genau diese Annahme ist gefährlich und lässt uns oftmals gar nicht erkennen, welche Kräfte im Hintergrund wirken.
Auf meinem Weg musste ich schon einige Rückschläge einstecken. Ich musste zum Beispiel etliche Prüfungen ein zweites Mal machen, sei es die Fahrprüfung oder Abschlussprüfungen. Jedes Mal habe ich mich wieder aufgerappelt, nicht aufgegeben. Ich bin sehr diszipliniert. Aber ich habe auch die Gabe, im richtigen Moment loszulassen, ab und zu über mich selber zu lachen und zu erkennen, so wichtig ist das alles nicht, so wichtig bin ich nicht.
Aktuell ist für mich die grösste Herausforderung, wie ich in meiner Führungsposition als Frau bei mir bleibe. Ich nehme manchmal eine Härte bei mir wahr, die ich nicht möchte. Es ist eine sehr persönliche Frage, ob und wie weit wir männlich-konnotiertes Verhalten annehmen wollen. Das muss jede Frau für sich entscheiden. Mir wurde schnell klar, auch wenn es viel Kraft kostet, möchte ich auch in dieser Funktion die Frau sein, die ich sonst bin. Und wenn das nicht geht, bin ich am falschen Ort.
Wie bist du mit diesen Herausforderungen umgegangen?
Als ich damals erfahren hatte, dass ich weniger verdiene als meine Kollegen, war ich so wütend. Seither sage ich in Lohnverhandlungen zum Beispiel nie mehr „Der Lohn ist mir nicht so wichtig“, obwohl er mir wirklich nicht wichtig ist. Wichtig ist mir hingegen, dass ich gleich viel verdiene, wie alle anderen, die gleichwertige Arbeit leisten.
Ich stürzte mich in das Thema „Frauen im Business“, las unzählige Bücher dazu. Das war wichtig, um patriarchale Strukturen zu sehen und zu verstehen. Die Tipps in den Büchern brachten mir persönlich letztlich aber wenig, weil auch diese oft vermeintlich männliche Prinzipien und Karrieretipps propagierten: „Arbeite nicht bis tief in die Nacht, geh lieber an einen Vernetzungs-Apéro“. Ich musste auch da wieder meinen eigenen Weg finden. Eine Zeit lang ging ich tatsächlich offensiver vor, fuhr öfters die Ellenbogen aus. Ich merkte dann aber bald, das tut mir nicht gut. Das bin ich nicht, ich verliere mich.
Der Schlüsselmoment im Umgang mit diesem Spannungsfeld war, als ich vor 20 Jahren anfing, Yoga zu praktizieren. Dies war einer der wichtigsten Schritte auf dem Weg zu mir selber. Yoga führt dir vor Augen, was dein eigenes Wertesystem ist und was dir wichtig ist. Gerade als Frau in einer Führungsposition, wo du viel kämpfen und dich durchbeissen musstest, fällst du schnell darauf hinein, Werten einer patriarchalen Gesellschaft zu folgen. Das ist auch heute noch eine Herausforderung für mich und ich muss mich immer wieder fragen: Was sind meine Werte? Was ist mir wichtig? So habe ich über die Jahre hinweg einen Kompass entwickelt, der mir hilft, bei mir selbst zu bleiben.
Worauf bist du stolz?
Wie gesagt, hatte ich wirklich viel Glück im Leben. Natürlich, es gab den Moment, an dem ich merkte „Oh, mein CV liest sich gut.“ Aber es gab auch diese Schlüsselmomente, auf die ich nicht „stolz“ bin, sondern für die ich einfach extrem dankbar bin. Gerade, dass ich nie in meine Seele verkauft habe, dass ich immer weitergezogen bin, beruflich oder privat, wenn ich gemerkt hatte, ich entwickle mich nicht weiter, dafür bin ich unglaublich dankbar.
Was hättest du dir aus der heutigen Erfahrung bei deinem Berufseinstieg gewünscht?
Mir hätte geholfen, wenn ich damals das Vertrauen ins Leben gehabt hätte, das ich heute habe. Aber auch dafür habe ich wohl meinen Weg gehen müssen. Es gibt nicht diesen einen magischen Moment, der dir das Vertrauen ins Leben herzaubert. Das Vertrauen kommt daher, dass wir uns bewusst auf unseren Weg machen. Das mag sehr spirituell klingen. Vielleicht ist es das auch. Ich glaube, es ist wichtig ist, zu verstehen: Du bist gut so, wie du bist, von da aus gehst du jetzt weiter und der Rest wird sich irgendwie fügen. Jede Frau macht ihre eigene Heldinnenreise.
Dein Tipp für junge Frauen beim Berufseinstieg
Wenn ich einen letzten Tipp geben darf, dann ist es dieser: Erschöpft euch nicht!
Dieses Thema betrifft viele Frauen. Wir haben nun mal mehr Durchhaltevermögen. Aber sobald wir uns erschöpfen, verstricken wir uns wieder. Gerade in schwierigen Zeiten wie diesen, mit Pandemie und Krieg, ist es umso wichtiger, dass wir bei uns bleiben.
Dr. Marion Völger leitet seit 2020 das Generalsekretariat der Bildungsdirektion im Kanton Zürich. Sie hat Rechtswissenschaften studiert und anschliessend in verschiedene Stellen an Bildungsinstitutionen und öffentlichen Verwaltungen gearbeitet. Später übernahm sie an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) die Leitung Lehre Abteilung Business Law und des Bachelorstudiengangs Wirtschaftsrecht, bevor sie 2016 die Leitung des Volksschulamts Kanton Zürich übernahm. Sie lebt mit ihrem Mann im Kanton Zürich und ist zertifizierte Yogalehrerin.